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  • anika

Lovestory - Kurzgeschichte

Aktualisiert: 9. Dez. 2018



Eine kleine Schneeflocke tanzte durch die Luft und legte sich kalt auf ihre Nase, wo sie noch im selben Moment das Schmelzen begann. Der erste Schnee in diesem Jahr. Auf ihren Lippen machte sich ein verzweifeltes Lächeln breit, denn um sich über die weißen Flöckchen, die nach und nach vom Himmel fielen, zu freuen, war keine Zeit.

Gehetzt zwängte sie sich durch das dichte Menschengetümmel, vorbei an weihnachtlich dekorierten Ständen, in denen Lebkuchenherzen, gebrannte Mandeln und Zwetschgenmänner überteuert verkauft wurden. Gedrängt blieben die Leute vor den kleinen Hütten stehen und schauten neugierig auf die Auslagen, wo neben Essen, auch Schmuck, selbst gestrickte Mützen, Schaals und viele weitere Dinge, die eigentlich niemand so wirklich brauchte und trotzdem jeder mitnahm, verkauft wurden.

Jeder versuchte sich krampfhaft mit seinen Mitmenschen zu unterhalten, rief durch die Gegend, lachte laut und gab kaum Rücksicht auf die anderen. Die so genannte „Stille Zeit“ – Weihnachten – wurde hier, zwischen den Ständen des Nürnberger Christkindlesmarkt, zu einer Lauten. Und dennoch vernahm sie aus einer Ecke, das leise summen eines Lautsprechers – „Schneeflöckchen, Weißröckchen wann kommst du geschneit?“ – „jetzt“, beantwortete sie die Frage leise, für sich selbst im Kopf.

Das leise Gedudel zusammen mit dem winterlichen Geruch nach Schnee, Zimt und Tannennadeln, der sich hier unten, zwischen den vielen Menschen anstaute, sorgte für die weihnachtliche Atmosphäre, die sowohl Touristen als auch Einheimische, jedes Jahr aufs Neue wieder anzog.

Für einen kurzen Moment blieb sie stehen und hielt inne. Sie schaute nach dem beigen Wintermantel und den blonden gekräuselten Haaren. Irgendwo musste er doch sein. Noch ehe sie ihn finden konnte, kam ein großer, dünner Mann in grünem Parka von hinten und schubste sie, im Vorbeigehen, zurück in die Menschenmasse.

Noch ein Stückchen weiter, irrte sie einfach so durch das Getümmel, bis sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter vernahm. Sie wirbelte ungeschickt herum und stand nun, nicht viel mehr als einen Zentimeter vor ihm. Er war nicht besonders groß für sein Alter und seine blonden Locken standen wirr vom Kopf. Er roch stark nach einem leicht süßlichen Herrendeo „Leather & Cookies“ von axe. Für einen kleinen Augenblick, verharrten die beiden so und schauten sich einfach nur an, bis ein kleiner, rundlicher Weihnachtsmann, mit einem aufgeklebten, falschen Bart, sie wieder zurück in die Realität holte: „Ho ho ho, fröhliche Weihnachten wünsche ich euch“

Verlegen ging sie einen Schritt zurück und meinte mit einem gespielt genervten Unterton: „Da bist du ja endlich.“ Woraufhin nur ein einfaches Nicken folgte. Sehr wortgewandt war er heute nicht. Normalerweise hatte er immer einen coolen Spruch oder eine freche Bemerkung auf Lager, aber heute war er ungewohnt still. Vermutlich lag es daran, dass die beiden sich das erste Mal allein trafen.

Doch auch sie sagte nichts und so liefen die beiden einfach weiter, immer weiter, durch die kleinen Gassen, ohne zu reden, ohne stehen zu bleiben. Keiner wusste so recht wohin sie gingen und so war das nächste Gespräch, das sie führten, wie sie nun wieder zurück zum Hauptbahnhof kamen, um zu ihm nach Hause zu fahren.

Kurz überlegte sie, ihm vorzuschwindeln, dass sie eine Nachricht von ihrer Mutter erhalten hatte, in der stand, dass sie früher nach Hause kommen sollte, als ursprünglich geplant, um das peinliche Schweigen zu beenden. Doch sie entschied sich dagegen. Sie wollte noch mit zu ihm kommen, sein Haus sehen, wo er wohnt und wie er so lebt, eventuell seine Familie kennen lernen, aber vor allem wollte sie bei ihm bleiben. Trotz der ständigen Stille zwischen den Beiden, genoss sie seine Nähe. Sie mochte seine Art, wie er war.

Es war sechs Uhr abends und bereits dunkel geworden, überall in der Stadt ging die weihnachtliche Beleuchtung an und unzählige bunte Lichterketten in den Bäumen, vor den Geschäften und in den Vorgärten einzelner Wohnhäuser sorgten dafür, dass die Nacht nahezu heller war, als ein trüber Wintertag wie heute. Es sah wunderschön aus, fast ein wenig zu kitschig, doch wieder mal war keine Zeit sich an dem romantischen Anblick zu erfreuen, die S-bahn kam in vier Minuten und er war bereits wieder in einer großen Masse verschwunden und eilte zum Bahnhof. Sie hinterher.

Als sie endlich am Gleis oben angekommen waren, konnte sie gerade noch sehen wie der Zug in weiter Ferne davonfuhr. „Mist“, dachte sie sich, denn das bedeutete sie mussten zwanzig weitere Minuten warten, dasitzen und schweigen. Wenn sie nur wüsste was sie sagen könnte, doch ihr fiel nichts ein.

Gemeinsam und diesmal zum Glück ohne jeglichen Stress und nicht umgeben von riesigen Menschentrauben, liefen sie zurück ins Bahnhofs Gebäude und setzten sich auf eine Bank oben auf der Galerie, von dort aus konnten sie die Menschen unten im Einkaufsbereich beobachten.

Er beobachtete gerne Menschen, er machte sich schnell ein Bild zu ihnen und urteilte. Ab und zu machte er sich über den ein oder anderen lustig. Doch die meisten Bemerkungen behielt er lieber für sich, er wusste ihre Eltern sind beide Sozialpädagogen, und so war auch sie, zu sozial um in sekundenschnelle über fremde Menschen zu urteilen und über sie zu scherzen.

Normalerweise hätte sie ihn für die ein oder andere Bemerkung, die er in der Wartezeit von sich gab, einen Vortrag darüber gehalten, wie er es finden würde, wenn andere sowas über ihn sagen, doch heute war es ihr egal, sie wollte ihm nicht das Gefühl geben, als würde sie ihn und seine Angewohnheiten nicht akzeptieren. Anstatt ihn zurecht zu weisen legte sie ohne etwas zu sagen, ihren Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen.

Normalerweise hätte sie das nie gemacht, sie ist ein sehr nachdenklicher Mensch, immer darauf bedacht, was andere über sie denken. Schlafen im Bahnhof, auf der Schulter eines Jungen, der nicht oder viel mehr noch nicht ihr Freund war. Sonst würde sie das nie tun, doch in diesem Moment war es ihr egal. Sie war zu müde um sich solche Gedanken zu machen und wollte einfach nur seine Nähe spüren.

„Ich liebe dich“, flüsterte sie leise und kaum hörbar in ihren dicken Schaal hinein.

„Ich dich auch“

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